Gegenwind in Otzberg
Am vergangenen Freitag (28.08.2015) besuchten 120 interessierte Bürgerinnen und Bürger auf Einladung der Bürgerinitiativen Gegenwind aus Otzberg, Hassenroth und Reinheim die Informationsveranstaltung im Ober-Klinger Volkshaus zum Thema „Gesundheitsgefahren durch Infraschall und tieffrequenter Schall verursacht von Windkraftanlagen“. Der Einladung der Bürgerinitiativen gefolgt waren der erste Beigeordnete der Gemeinde Otzberg, Hans Laicher in Vertretung des Bürgermeisters und drei Mitglieder der Gemeindevertretung, die sich zum Thema informieren wollten.
In Otzberg sollen die 31 GemeindevertreterInnen in Kürze darüber entscheiden, ob die Gemeinde Otzberg eine Fläche im Märkerwald (Märker Reißig) an einen Projektierer zur Errichtung von bis zu 4 Windkraftanlagen verpachten wird. Darüber hinaus sind im geplanten Vorranggebiet 218 zwischen Otzberg, Reinheim und Groß-Bieberau weitere 12 WKAs in Planung. Betroffen vom Bau der Windindustrieanlagen wäre die Gemeinde Otzberg selbst mit Ihren Ortsteilen, hier besonders Hering, Ober-Klingen und Nieder-Klingen. An die Schmelzmühle in Ober-Klingen könnte eine Anlage bis zu 600 Meter heranrücken. Die Bürgerinnen und Bürger sind sehr besorgt über die negativen Auswirkungen der Windkraftanlagen an diesem wirtschaftlich wie ökologisch zweifelhaften Standort.
Gleiches gilt auch für die Planungen im Vorranggebiet 218. Hier wäre der Weiler Hundertmorgen umstellt von einer großen Anzahl dieser Industrieanlagen. Ober- und Nieder-Klingen, Hering wären 16 WKAs ausgesetzt und in Ueberau, Reinheim, Groß-Bieberau würden bis zu 12 Industrieanlagen ganz nahe an die Wohnbebauung heranrücken. Betroffen vom Bau der WKAs im Märkerwald wären die Einwohner des staatlich anerkannten Erholungsortes und Nachbargemeinde Höchst-Hassenroth. Die ca. 200 m hohen Windräder sollen in einem Abstand von nur 1.000 m zur Wohnbebauung auf dem westlich von Hassenroth gelegenen Höhenzug in ca. 200 – 300 m Höhe errichtet werden. Eine sehr bedrohliche Kulisse für gesamt Hassenroth/Hummetroth!
Neben der Zerstörung des Naturraums (u.a. Lebensraum des gefährdeten Rotmilans), dem erheblichen Verlust von Lebensqualität, Wertverlust der Immobilien bis hin zur Existenzbedrohung der örtlichen Hotels, ist besonders die gesundheitliche Belastung durch Lärm, Schlagschatten und tieffrequenten bzw. Infraschall hervorzuheben. Insbesondere das Thema Infraschall betrifft nicht nur die Ortschaften in unmittelbarer Nähe zu den WKAs, Auswirkungen sollen nach aktuellen Erkenntnissen bis über 20 km weit entfernt spürbar sein. „Man sieht ihn nicht, man hört ihn nicht, man riecht ihn nicht und doch ist er da, der Schall. Der tieffrequente und der Infraschall, beide werden von Windkraftanlagen ausgesendet.“
Bernd Töpperwien, Maschinenbauingenieur aus Neu-Anspach, referierte zum Thema und demonstrierte an Hand praktischer Beispiele die Entstehung und Ausbreitung von Schall. Von Windkraftanlagen wird zweifelsfrei Infraschall und tieffrequenter Schall in sehr speziellen Frequenzmustern emittiert, der sich von dem sonstigen Infraschall und tieffrequentem Schall (z.B. Wind, Meeresrauschen, Kraftfahrzeuge) in seiner spektralen Zusammensetzung und Wirkdauer erheblich unterscheidet. Dies gilt insbesondere für die neuen Anlagen der 2 bis 7,6 Megawatt Klasse (150 bis deutlich über 200 Meter hoch).
Große Windkraftanlagen emittieren Frequenzen bis 0,1 Hz herab (Wellenlänge 3400 m), welche bei den bisher angewendeten Normen, Mess- und Auswertemethoden unterdrückt oder gar nicht erfasst werden. Die durchweg festgeschriebene Terz- bzw. Oktav-Analyse mittelt zudem einzelne Frequenzspitzen im tieffrequenten Spektrum weg.
Tonale Spitzen der Einzelfrequenzen heben sich in spektralen Fourieranalysen deutlich um mehr als 10 dB vom Grundgeräusch ab. Diese tonalen Anteile (Frequenzspitzen) im Schallspektrum wirken dabei störender und schädlicher als breitbandiges Rauschen. Die Wechselwirkungen zwischen Körper- und Luftschall sind in den heutigen Normen nicht berücksichtigt. Der zur Erstellung von Schallprognosen anhand DIN 9613-2 und TA-Lärm herangezogene Außen-Schallpegel ignoriert die Hauptbelastung von Betroffenen. Tieffrequenter Schall dringt auf Grund seiner großen Wellenlänge nahezu ungehindert in die Innenräume und kann dort durch Schallreflexionen und Überlagerungen sogar örtlich zu verstärkten Schalldruckwerten führen. Im Raum auftretende, unterschiedlich starke Brummgeräusche, Schwebungen und Schwingungen sind die Folge.
Die andauernde Einwirkung auf den Menschen stört und schädigt die Gesundheit der Betroffenen insbesondere während der, für die Erholung unabdingbaren nächtlichen Schlafphase. Nur den Außen-Schallpegel zu bewerten ist folglich nicht ausreichend. Das für die Schallausbreitung benutzte Prognoseverfahren nach DIN 9613-2, welches nur für Anlagen bis zu einer Höhe von 30 Meter zu zuverlässigen Aussagen führt, ist für heutige, große Windkraftanlagen nicht mehr geeignet. Die Schallausbreitung wird dadurch fehlerhaft berechnet, die tatsächlichen Schallimmissionswerte sind, speziell in Mitwindrichtung, signifikant höher als die berechneten Werte. Die derzeit gültigen Vorschriften fokussieren sich primär auf die Bewertung von deutlich hörbarem Lärm (TA-Lärm von 1998 und DIN 45680 Stand 1997 sowie im Entwurf von 2013). Diese Betrachtungsweise wird den akustischen Randbedingungen von großen Windkraftanlagen nicht gerecht, da weder Infraschall unter 8 Hz noch schmalbandige tonale Spitzen gemessen bzw. berücksichtigt werden. Körperschall findet überhaupt keine Beachtung. Genau diese Faktoren sind jedoch die mit gesundheitlicher Relevanz.
Fazit:
Die in den Erlassen der einzelnen Bundesländern pauschal festgelegten Abstände zu Einzelhäusern und zur Wohnbebauung sind für heutige, große Windkraftanlagen bei weitem zu gering. In Folge dessen führen die Schallemissionen der Windkraftanlagen, die auch einen wesentlichen Anteil an tieffrequentem Lärm enthalten, zu anfangs „nur“ massiver Belästigung und erst später auftretenden gesundheitlichen Langzeitschäden bei einem signifikanten Anteil der Anwohner (ca. 30%).
Der 118. Deutsche Ärztetag 2015 fordert in seiner Entschließung, die Bundesregierung auf, „die Wissenslücken zu den gesundheitlichen Auswirkungen von Infraschall und tieffrequentem Schall von Windenergieanlagen (WEA) durch wissenschaftliche Forschung zu schließen sowie offene Fragen im Bereich der Messmethoden zu klären und gegebenenfalls Regelwerke anzupassen, damit der Ausbau und der Betrieb von WEA mit Bedacht, Sorgfalt, ganzheitlicher Expertise, Nachhaltigkeit und gesamtgesellschaftlicher Verantwortung erfolgen kann.
Insbesondere bei den gesundheitlichen Auswirkungen von Infraschall (< 20 Hz) und
tieffrequentem Schall (< 100 Hz) durch Immissionen und Emissionen von Windenergieanlagen bestehen noch offene Fragen, z. B. zur Wirkung von Schall unterhalb der Hörschwelle oder von tiefen Frequenzen bei steigender Expositionsdauer. Des Weiteren sollte ei n Anpassungsbedarf bei Messmethoden und Regelwerken geprüft werden, z. B. bei der Übertragbarkeit von Abstrahlungs- und Ausbreitungsmodellen für kleinere WEA auf große Anlagen sowie bei verbindlichen Regelungen von Messung und Beurteilung tiefer Frequenzen (0,1 bis 20 Hz).
Kernziele
Systematische, transparente, ergebnisoffene, empirische Erforschung des i n den menschlichen Organismus eindringfähigen niedrigen Frequenzbereiches Vernetzung mit den im Ausland schon seit Langem auf diesem Gebiet forschenden Gruppen Kontinuierliche Veröffentlichung der Ergebnisse, der Untersuchungsmethodik Stopp eines zu nahen Ausbaus an Siedlungen, bis hinreichend belastbare Daten vorliegen, die eine Gefährdung sicher ausschließen. Bei den Abstandsproblemen, der Geräuschentwicklung und dem Schattenwurf sind neben der Anlagenhöhe ebenso die Windradpositionen zur Siedlung in Abhängigkeit von der topografischen Gegebenheit, der Hauptwind- und Sonnenstrahlenrichtung zu berücksichtigen. Steht beispielsweise ein Windradpark auf der wind- und sonnenzugewandten Seite vor einer Siedlung, so werden Schallausbreitung und Schattenwurf für die Siedlung störender sein, als wenn sich der Windpark hinter dieser Siedlung befindet.
Eine reformbedürftige technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm (TA-Lärm), die nur unzureichend schützt, kann nicht noch weiterhin als Schutzvorschrift gebraucht werden. Die dadurch initiierte Schallforschung spielt auf allen Ebenen der Schallbelastung eine gesundheitsschützende Rolle, also nicht nur bei Windenergieanlagen. Wichtig ist auch die Untersuchung von Körperschall (= tieffrequente Festkörpervibrationen von 100 Hz bis 0,1 Hz), welcher ebenso in gefährlicher Form von den modernen Windenergieanlagen ausgeht. Körperschall entsteht auch schon, wenn die Rotoren der WEA noch gar nicht laufen, allein bedingt durch die Biegeschwingungen der extrem hohen Türme der Anlagen.
Er wird über die Fundamente in den Umgebungsboden übertragen. Je nach topologischer und geomorpher Situation (Bodenschichtungen) am Standort solcher Anlagen, kann der Körperschall ohne weiteres bis 10 km und weiter als Immission i n die Wohnbebauung eingetragen werden. Den Infraschall (luftseitig)hier nur alleinig zu betrachten und zu untersuchen, ist somit nicht ausreichend, um erklärbare und brauchbare Erkenntnisse zu bringen. Daher müssten im Rahmen von Messungen zur Beurteilung der Gesundheitsgefahr zukünftig immer zusätzlich zu den Außenmessungen auch Innenmessungen i n den Häusern durchgeführt werden (an Stelle der bisher hier üblichen Praxis von akustischen Berechnungen).
Die Wechselwirkungen von Körperschall und Luftinfraschall können die Wahrnehmungsschwelle betroffener Personen deutlich nach unten versetzen. Gesundheitliche Probleme dieser Personen können daher schon bei sehr niedrigen Pegeln auftreten. (Entschließungsantrag im Beschlussprotokoll S. 354, 118. Deutscher Ärztetag 2015, Frankfurt, 12.05.-15.05.2015). Der Lebensraum am Otzberg und den umliegenden Ortschaften ist bereits durch Emissionen von vorhandenen Anlagen vorbelastet, die Biogasanlage gegenüber der Heydenmühle emittiert Schall, die 4 Windkraftanlagen auf dem Binselberg kommen mit ihren Emissionen hinzu. Die Belastung der Bevölkerung durch Fluglärm infolge des Ausbaus des Frankfurter Flughafens, hat in den letzten Jahren erheblich zugenommen. Will man wirklich die Menschen hier mit dem Zubau von Windkraftanlagen weiteren Belastungen aussetzen, wohl wissend, dass man sich bei den gesundheitlichen Risiken auf unsicherem Terrain bewegt.
Die Entscheidungsträger der Gemeinde Otzberg haben die Aufgabe, ihre Entscheidung gemäß des Grundgesetzes: staatliche Pflicht zum Schutze der menschlichen Gesundheit und des menschlichen Lebens; Art.2 Abs.2 S.1 Grundgesetz, zu treffen. Man kann sich Albert Schweitzers Handlungsmaxime zum Vorbild nehmen: „Ehrfurcht vor dem Leben“! Bevor die Entscheidung im Parlament fällt beraten die Ausschüsse. Die 22. öffentliche Sitzung des Umwelt-, Land- und Forstwirtschaftsausschusses der Gemeinde Otzberg findet am kommenden Montag um 20.00 Uhr im Volkshaus in Ober-Klingen statt. „Windenergie Otzberg“ ist das Thema. Der Haupt- und Finanzausschuss tagt am Dienstag, 08.09.2015, um 19.00 Uhr im Volkshaus Ober-Klingen, der Bauausschuss tagt ebenfalls öffentlich am 09.09.2015 in Lengfeld, Rathaus, Nebenraum um 19.00 Uhr. Alle Ausschüsse sind mit dem Thema Windkraft in Otzberg befasst.